„… daß, nach allen Erfahrungen, durch Arzneien die einen, von der zu heilenden Krankheit abweichenden, fremdartigen Krankheitszustand (unähnliche krankhafte Symptome) für sich in gesunden Menschen zu erregen vermögen, die ihnen unähnliche, natürliche Krankheit nie geheilt werden könne (nie also durch ein allöopathisches Cur-Verfahren), und daß selbst in der Natur keine Heilung vorkomme, wo eine inwohnende Krankheit durch eine hinzutretende zweite, jener unähnliche, aufgehoben, vernichtet und geheilt würde, sei die neue auch noch so stark:“
Zuvor in diesem Paragrafen hob Hahnemann die Notwendigkeit hervor, dass man die zu heilende Krankheit identifiziert. Das Mittel um sie zu heilen liegt in der Beobachtung der Gesamtheit der Symptome, die auf das Simillimum verweisen.
Im zweiten Teil des Paragrafen gibt er an, dass es in der Natur 3 mögliche Wege gibt, durch die die Symptome eines Patienten gelindert werden können, aber dass es nur EINE Methode für die wahre Heilung gibt. Wieder kommen wir auf den Ausdruck HEILUNG zurück und darauf, was er aus der Perspektive der Homöopathie bedeutet. Zu oft wird dieser Ausdruck zu nachlässig dafür verwendet, eine Symptomenlinderung zum Ausdruck zu bringen, ohne sich mit dem langfristigen Status zu befassen. Hahnemann erinnert uns zuerst daran, was Heilung NICHT ist, warum Heilung für nichthomöopathische Methoden, die nicht dem Heilgesetz, dem Ähnlichkeitsgesetz, folgen, unmöglich ist.
Die erste Wirkungsart erfolgt durch eine Arznei, die in einem Gesunden einen FREMDEN morbiden Zustand herstellt, der sich völlig von der zu heilenden Krankheit unterscheidet. Dies ist die ALLOPATHISCHE Art zu behandeln. Dies ist, was in den §§ 36, 37, 40, 44 als UNÄHNLICHE KRANKHEIT beschrieben wird und wo Hahnemann im Detail 3 verschiedene Entwicklungen zweier unähnlicher Krankheiten beschreibt, die in einem Individuum zusammentreffen. Keine dieser 3 Entwicklungen konnte zur Heilung führen.
Die Ausübung der heutigen modernen Medizin ist eine ‘symptomatische Behandlung’, bei der ein einzelnes Mittel versucht, ein einzelnes Symptom zu behandeln. Es ist eine hybride Abart der Allopathie, auf die Hahnemann sich bezog. Wenn eine Person nur ein einziges augenscheinliches Symptom aufweist, dann gibt es dafür ein symptomatisches Mittel, dessen Wirksamkeit durch den Goldstandard der randomisierten kontrollierten Prüfungen (RCP – randomized controlled trials) “bestätigt” ist.
Was geschieht, wenn eine Person mehrere Symptome hat? Ein symptomatisches Mittel für jedes Symptom ist die übliche Antwort. Dies führt zu einem Cocktail von Chemikalien, die zwar ein einzelnes Rezept darstellen, aber die Medikamente werden nach dem Goldstandard der RCTs nur einzeln getestet! Leute mit einer fortgeschrittenen Pathologie und die mit moderner Medizin behandeltet werden, enden damit, sich bis zu 20-25 ‚lebensrettende’ Tabletten täglich einzuwerfen!
Wann werden Homöopathen und die Homöopathie jenen Punkt der Entwicklung erreichen, dass sie in der Lage sind, diese Situationen zuversichtlich mit den richtig indizierten Einzelmitteln zu behandeln?
„… daß auch nach allen Erfahrungen, durch Arzneien, die ein dem zu heilenden einzelnen Krankheitssymptome entgegengesetztes künstliches Krankheitssymptom für sich im gesunden Menschen zu erregen Neigung haben, bloß eine schnell vorübergehende Linderung, nie aber Heilung einer älteren Beschwerde, sondern vielmehr stets nachgängige Verschlimmerung derselben bewirkt werde; und daß, mit einem Worte, dieses antipathische und bloß palliative Verfahren in ältern, wichtigen Uebeln, durchaus zweckwidrig sei: …“
Die ZWEITE Wirkungsform jeglicher äußerlich angewandter Mittel liegt in der Verwendung einer Arznei, die in einer gesunden individuellen Person künstliche krankhafte Symptome auslöst, die ANTAGONISTISCH zu den einzelnen Symptomen jener Krankheit sind, welche geheilt werden soll. In dem Versuch ANTIPATHISCH zu heilen gibt es drei größere Schwierigkeiten. [§ 56, 57, 58, 59]
1. Es wird versucht, nur “das einzelne Krankheitssymptom” zu heilen. Stattdessen wissen wir als Homöopathen, dass wir danach streben, die Gesamtheit der Krankheit zu heilen. Einzelsymptome sind unzulänglich.
2. Es wird versucht, auf antagonistische Art und Weise zu heilen. Die Folge ist, dass, obwohl das Einzelsymptom, gegen das die Arznei wirkt, gebessert wird, man muss aber vorher berücksichtigen, ob dieses Symptom neu ist oder schon länger andauert.
Das Ergebnis ist, dass ‘neue’ Symptome leicht für einige Zeit gelindert werden, während die ‘innere Krankheit’ (der Lebenskraft) weiter voranschreitet und später wieder zum Vorschein kommt, entweder als eine Wiederholung desselben Symptoms oder in veränderter Form.
Chronische Symptome werden ebenfalls kurzfristig durch Antipathie gelindert, um nach einer kurzen Zeit zurückzukehren, verschlimmert und schwerwiegender durch die sekundäre Entgegenwirkung der Lebenskraft [§ 63]. Um das Symptom zu unterdrücken, erfordert es folglich eine häufigere Wiederholung dieser Arznei in immer höheren Dosen, was zu noch tieferer Unterdrückung der Lebenskraft führt.
3. Chronische Krankheiten konnten nie von antipathischen Mitteln geheilt werden, da es bei diesem Ansatz keine Beteiligung der Lebenskraft zur Selbstheilung gibt. Eher ist die Lebenskraft dazu gezwungen, primär in einem Zustand der passiven Wirkung zu verharren, zermürbt von den externen heftigen Angriffen der antagonistischen Arznei.
Dies kann durch homöopathische oder andere Arzneien geschehen – pflanzlichen; symptomatischen.
„… daß aber endlich die dritte, einzig noch mögliche Verfahrungsart (die homöopathische), mittels deren gegen die Gesammtheit der Symptome einer natürlichen Krankheit eine, möglichst ähnliche Symptome in gesunden Menschen zu erzeugen fähige Arznei, in angemessener Gabe gebraucht wird, die allein hülfreiche Heilart sei, wodurch die Krankheiten als bloß dynamische Verstimmungs-Reize durch den stärkern, ähnlichen Verstimmungsreiz der homöopathischen Arznei im Gefühle des Lebensprincips überstimmt und ausgelöscht werden und so unbeschwerlich, vollkommen und dauerhaft ausgelöscht, zu existiren aufhören müssen – worin uns auch die freie Natur in ihren zufälligen Ereignissen mit ihrem Beispiele vorangeht, wenn zu einer alten Krankheit eine neue, der alten ähnliche hinzutritt, wodurch die alte schnell und auf immer vernichtet und geheilt wird.“
In der Homöopathie bedeutet HEILUNG, die Krankheit mit ihren Wurzeln zu vertilgen. Das ist es, was vom Simillimum erwartet wird. Dennoch, wie viele von uns haben noch die Gelegenheit einen Fall so lange beobachten zu können, um in der Lage zu sein, mit Sicherheit sagen zu können, dass wir ihn von seinen Problemen “heilten”? Unterschiedliche klinische Situationen entstehen im Zusammenhang mit der Verwendung des Wortes Heilung:
1. Zu welchem Zeitpunkt betrachtet man einen Zustand als geheilt?
Wir fragen uns zuerst, ob der betreffende Zustand als akute oder chronische Krankheit klassifiziert werden kann, [Chronische Krankheiten – Seite 45, Organon § 99, 205, 206]. Wirkliche akute Krankheiten (deren Ursache ein akutes oder halbakutes Miasma ist) können leichter geheilt werden.[Chronische Krankheiten – Fußnoten 20,21 zu Seite 45: Seite 99]. Dies liegt daran, weil deren (dynamische) Wirkung auf die Lebenskraft für lange Zeit vom Simillimum entfernt worden ist. Dies bedeutet auch, dass dieser Fall langfristig kein “seither nie mehr gut”-Attribut auf diese Krankheit haben wird.
Im Kontrast dazu, wenn die akute Krankheit von einem homöopathischen Mittel oder irgendeiner anderen Arznei, welche nur teilweise/oberflächlich wirkte, unterdrückt worden ist, dann setzt sich deren Wirkung auf die Lebenskraft fort, selbst dann, wenn der oberflächliche (äußere) Ausdruck von Symptomen zu verschwinden scheinen. So ist es möglich, dass dies zu einem künftigen Ausdruck der Krankheit beitragen kann, den man mit einem „seither nie mehr gut“ der akuten Erkrankung in Beziehung setzen kann. Nach einem geeigneten Simillimum kehrt das “alte” Symptom dieser akuten Krankheit nach Herings Gesetz der Heilung zurück.
2. Ab welchem Punkt erheben wir Anspruch auf Heilung einer chronischen Krankheit?
Auch diese Frage ist schwer zu beantworten und ist für jeden Fall anders.
Wenn wir einen Patienten mit einem Simillimum behandeln, gibt es keinen Zeitpunkt, zu dem eine Person als völlig geheilt betrachtet werden kann. Was jedoch abläuft, ist, dass es eine rückläufige Entwicklung der Symptome gemäß Herings Gesetz der Heilung gibt, zunächst wird der letzte Ausdruck der Erkrankung geheilt. Man beobachtet eine Besserung in der miasmatischen Fortentwicklung der Krankheit in Richtung eines Ausdrucks der Grundmiasmen einer Person.
Dies bedeutet, dass die homöopathische Behandlung zeitbezogen ist. Es erfolgen hier keine schnellen Reparaturen. Das Einzige, was schnell und beinahe magisch durch ein wahres Simillimum in Ordnung gebracht wird, ist ein Krankheitszustand, der sich in der näheren Vergangenheit ergeben hat. Ein magisches Verschwinden eines chronischen Symptoms ist fast immer ein Zeichen einer Linderung oder einer Unterdrückung. Jene Beschwerden, die früh in der Kindheit oder im Jugendalter aufgetreten sind, werden Jahre brauchen, bis der Punkt erreicht ist, den man als Heilung bezeichnen kann.
Während dieser Wartezeit würde ein recht erfahrener Homöopath für unterschiedliche Situationen, die auftreten können, individuell wie in jedem Fall, der ein Akutmittel, ein Zwischenmittel, ein Konstitutionsmittel, ein Mittel für die chronische Phase, ein antimiasmatisches Mittel und in manchen Fällen ein unterstützendes spezifisches Mittel benötigt, verschreiben. Alles hängt davon ab, wie der Krankheitsfall entstanden ist und wie er über die Zeit unterdrückt wurde. Es gibt nur einen kleinen Prozentsatz von Fällen, die nur ein einzelnes chronisches Simillimum im Laufe des Lebens benötigen.
Dies bedeutet auch, dass sich der Patient, um ein Höchstmaß an Nutzen aus der klassisch homöopathischen Behandlung zu ziehen, auf einen langen Weg einstellen muss. Aber der Nutzen ist großartig: Man verhindert die Fortentwicklung der miasmatischen Krankheit, es gibt einen Rückgang der meisten pathologischen Veränderungen, ein verbessertes Gefühl des Wohlbefindens, eine Stärkung des Immunsystems und voraussichtlich keine sich neu entwickelnde Pathologie.
Bibliographie:
1. Hahnemann, Samuel; Organon of Medicine
2. Hahnemann Samuel; Theory of Chronic Diseases
3. Allen T.F; Boenninghausan’s Therpeutic Pocket Book
4. Boger, CM; A Synoptic Key of the Materia Medica
5. Boger, CM: Studies in the Philosophy of Healing
6. Das, Ashok Kumar: Treatise on the Organon of Medicine
7. Dhawle, ML; ICR Symposium Voumes I,II,III
8. Kent, James T; Lectures on Homeopathic Philosophy
9. Dudgeon RE, Boericke William; Organon of Medicine by Samuel Hahnemann, Fifth and Sixth Edition Combined.