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Sex im Sprechzimmer – Hpathy.com

Veröffentlicht in: The Homeopath, Herbst 2006, 25:2

Diese Ausgabe von The Homeopath – die 100. Ausgabe, wiederveröffentlichte die Artikel, nach denen aus 25 Jahren des Journals der Society of Homeopaths am häufigsten für einen Nachdruck angefragt wurde.

Zuerst präsentiert bei der Jahrestagung der Society of Homeopaths an der University of Nottingham im September 1990. Veröffentlicht im Band 11, Nummer 2, 1991. Miranda Castro schrieb zur Zeit, als das Protokoll herausgegeben wurde: Der Zweck meines Artikels ist, Gedanken anzuregen. Ich habe keinen in sich vollständigen endgültigen Artikel geschrieben und ich hoffe, dass Sie sich am Ende unterstützt oder herausgefordert fühlen werden, erleichtert oder ratlos, erfreut oder sogar erbost. Ich hoffe, Ihnen eine Gelegenheit zu geben, Ihre eigenen Überzeugungen für sich zu bestätigen, aber vor allem hoffe ich, Diskussionen anzuregen und nicht nur wenige Fragen aufzuwerfen.

Die Erwartungen der Patienten: ein Elternteil, eine Lehrerfigur

Ich möchte auf das Thema von Macht und Ethik im Sprechzimmer einen Blick werfen und ich will damit beginnen, kurz auf die Dynamik des Patienten – Therapeuten – Verhältnisses zu schauen. Denn ein Patient, der um Hilfe zu Ihnen kommt, hat Zeit und Geld und seine Hoffnung investiert – um geheilt zu werden. Wir stellen für sie eine sehr wichtige Person dar, wir stellen eine Elternfigur dar, eine Lehrerfigur. Entsprechend ihrer früheren Erfahrungen, stellt jede Person andere Erwartungen an uns, wie wir uns verhalten sollten, entweder positiv oder negativ. Dies ist hauptsächlich ein unbewusster Vorgang. Wir sitzen oder stehen auf unterschiedlich hohen Sockeln; wir haben unterschiedlich weiße Arztkittel, ob wir einen tragen oder nicht; für die Menschen, die früher entweder mit ihren Eltern oder mit vorherigen Ärzten schlechte Erfahrungen gesammelt haben, wachsen uns unterschiedlich große Hörner.

Ich bin mir sicher, dass Sie sich alle mit diesem Gefühl des Unbehagens, der Angst, oder Furcht, oder sogar der Panik, wenn Sie beim Zahnarzt hereinkommen, identifizieren können. Sie können sich relativ stark gefühlt haben und für Ihr Leben verantwortlich und dann gehen Sie durch diese Tür hindurch und legen sich auf den Zahnarztstuhl und – plötzlich fühlen sich kleiner. Ich weiß, dass ich mich ungefähr wie ein fünfjähriges Kind fühle. In dieser Position verliere ich meine Kraft – ich fühle mich wie ein Kind, ich bin verängstigt und eingeschüchtert. Interessanterweise, als ich kürzlich meinen Zahnarzt auf einer Party traf (er ist ein Freund eines Freundes), fühlte ich mich ihm gegenüber völlig anders. Er war dieselbe Person – in einer anderen Rolle.

Wenn Sie dort auf diesem Stuhl liegen, sind Sie hilflos. Und wegen dieser Hilflosigkeit fühlen Sie sich wie ein Kind. Der Zahnarzt hat die ganze Macht und das Wissen, die Fachkenntnisse.

Eine Freundin von mir war einmal in dieser Lage, als ihr Zahnarzt seine Hand auf ihren Oberschenkel legte und sie das Bein hinaufwandern ließ und er sagte dabei nichts. Sie war jung. Die Schockwellen von dieser seiner besonders unpassenden Tat hinterließ eine Wunde, die viele, viele Jahre brauchte, um zu heilen.

Obwohl wir wissen, dass wir in einem Sprechzimmer sind, unsere Patienten tun es nicht. Ihre Beziehung zu uns und ihre Gefühle uns gegenüber sind wegen unserer Rolle als Homöopath, als Heiler, gänzlich verschieden. Wegen des unsichtbaren Huts, den wir tragen. Dies lässt sie sich sehr verwundbar fühlen, was uns wiederum ein enormes Maß an Macht verleiht.

Das Kind in uns

Wenn wir bei jemandem anderen um Hilfe ersuchen, kommt das Kind in uns an die Oberfläche und die Person, nach der geschaut werden muss, sucht eine Elternfigur. Dies bringt bei verschiedenen Menschen unterschiedliche Probleme hervor. Sie haben vielleicht den Wunsch, einen Moment lang zu überdenken, was man als Patient in dieser Lage fühlt. Fühlen Sie sich ängstlich, furchtsam, ein bisschen verärgert, weil Sie hingehen und um Hilfe bitten müssen, misstrauisch, übereinstimmend, erlöst, wenn Sie Ihren Zahnarzt, Ihren Homöopathen, Ihren Arzt aufsuchen? Wir kommen alle mit unterschiedlichen Gefühlen in diese zwischenmenschliche Beziehung. Überlegen Sie jetzt für einen Moment, ob die Gefühle, die Sie im Sprechzimmer haben, den Gefühlen ähnlich sind, die Sie als Kind in Ihrer Familie oder bei Ihrem Arzt erfuhren.

So weit es mich betrifft, wir haben eine autoritäre Position, ob es uns gefällt oder nicht. Es gibt sie, und es liegt in unserer Verantwortlichkeit, diese Position zu wahren und zu respektieren. Unsere Patienten tun fast alles dafür, um uns zufrieden zu stellen, damit wir sie heilen können.

Das war knapp!

Ich habe viele Geschichten von früheren Patienten gehört, die mit ihren Therapeuten eng verbunden waren, die ein Liebespaar wurden und dies ist ein Bereich, der mir besondere Sorge bereitet. Einmal wurde es sehr eng. Es war mein letzter Patient an einem Freitagabend. Ich arbeitete zu Hause und es war ein Wochenende, an dem mein Sohn bei seinem Vater war, sodass ich alleine war und ich hatte für mich nicht viel für das Wochenende eingeplant. Es war Winter; dunkel, kalt, nass und Nieselregen, wenn ich mich recht erinnere. Die Art von Abend, an dem man sich danach sehnt, Feuer zu machen.

Mein letzter Patient war ein Mann, ein Freiberufler in meinem Alter. Er hatte eine chronische Beschwerde, bei der der Ärztestand aufgegeben hatte … Er konnte keine Behandlung dafür anbieten. Er war verzweifelt und unheilbar erkrankt. Er hatte seit sechs Monaten nicht mehr gearbeitet. Ich nahm seinen Fall auf und wir kamen zu den Emotionen – dem inneren Menschen und er erwähnte ein Trauma aus seinem frühen Erwachsenenalter, das er nicht geheilt hatte, das immer noch unaufbereitet war, noch ungelöst. Es war ein Verrat an der Freundschaft, sein bester Freund. Er erwähnte eine Stadt, eine Universität und einen Vornamen. Ich zählte eins uns eins zusammen und fragte ihn nach dem Nachnamen seines Freundes. Erstaunlicherweise war sein Freund dieselbe Person, zu der ich eine intime Beziehung gepflegt habe, der meine Freundschaft auf ähnliche Weise preisgegeben hatte, zu diesem Zeitpunkt immer noch ungelöst. Es fiel mir wegen der Gefühle, die sich in mir breitmachten, sehr schwer, mit meiner Aufgabe fortzufahren. Ich hielt sie jedoch zurück und machte damit weiter, seinen Fall aufzunehmen. Aber meine Wahrnehmung für meinen Patienten hatte sich geändert – meine innere Wahrnehmung. Er war mir näher gekommen. Ich stellte übrigens eine flüchtige Frage darüber, ob er frei war, ob er in einer Beziehung lebte. Als er seine Geliebte erwähnte, bemerkte ich meine unerklärliche, einen kurzen Moment dauernde Enttäuschung. Ich entschied mich dafür, kein Rezept auszustellen, sondern in einem weniger spannungsgeladenen Moment an seinem Fall zu arbeiten und sagte ihm, dass ich ihn am nächsten Tag anrufen würde.

Am Ende meines Tages führte ich meinen Hund zu einem Spaziergang aus. Ich stellte fest, dass ich ziemlich neugierige Gedanken und Fantasien bezüglich dieses Patienten hatte. Ich konnte eine ansteigende Flut der Zuneigung zu diesem Patienten fühlen, der plötzlich gut aussah, zärtlich, verwundbar geworden war – und sehr interessant. Ich beobachtete meine Gedanken und Gefühle mit Erstaunen und Entsetzen. Ich rief eine Freundin von mir an, die auch bei demselben Supervisor ist, und ich beschloss, nicht darüber zu schlafen. Ich rief meinen Patienten an diesem Abend an und erklärte ihm, dass das Gespräch über unseren beiderseitigen Exfreund ungelöste Gefühle in mir hoch brachte und ich außerstande war, die zwei Männer zu trennen – ihn von meinem früheren Geliebten zu trennen. Dass ich mich zu ihm hingezogen fühlte, strenge Prinzipien hätte, nicht nach meinen Gefühlen handeln würde und dass ich sagen wollte, dass ich dachte, es wäre am Besten, wenn ich einen geeigneten Ersatz fände, damit er die homöopathische Hilfe bekommen konnte, die er brauchte und verdiente. Ich meinte, ich könnte keine ausreichend gute, objektive Arbeit als Homöopath abliefern.

Seine Antwort kam völlig unerwartet. Er hörte dem höflich zu, was ich zu sagen hatte und dann antwortete er und sagte, dass er vorher schon Homöopathen konsultiert hatte und ich die Erste war, zu der er vollständiges Vertrauen hatte. Er fühlte sich sehr gut in der Sitzung, die er mit mir geführt hatte und er war sich sicher, dass ich ihm helfen konnte. Er machte eine Pause und fragte mich, ob es jemanden gab, zu dem ich mit meinen Gefühlen gehen konnte, jemand, der mir mit meinen Gefühlen helfen konnte, sodass ich ihn weiterhin behandeln konnte (!).

Nun, was er sagte, machte Sinn. Ich hatte meine Gefühle anderweitig verdrängt und ich hatte mit ihnen zu kämpfen, weil sie woanders hingehörten, d. h. nicht zu ihm und ich heilte eine Wunde, die längst überfällig war. Und wissen Sie was, er hatte recht. Ich war in der Lage, ihm zu helfen, es ging ihm besser, und so, wie er gesundete, wurde er für mich weniger attraktiv.

Ethik: unabsichtlicher Missbrauch und Homöopathie

Wegen meiner knappen Zeit werde ich nicht in der Lage sein, dieses Thema ausführlich auszuführen, aber ich möchte einige Punkte ansprechen, etwas über die Ethik sagen, wie man mit Sex im Sprechzimmer umgeht. Ich hoffe, dass meine Erzählung Sie dazu anregen wird, über diesen Bereich in unserer Arbeit nachzudenken, damit Sie nicht in diese Falle tappen, Ihre Patienten unwissentlich zu missbrauchen. Denn das kann nur allzuleicht geschehen.

Ich will mir heute ansehen, wie wir als Homöopathen unsere Patienten missbrauchen können – ohne dies zu beabsichtigen – und Wege aufzeigen, wie wir dies vermeiden können. Einige Dinge praktizieren wir in der Weise, wie es uns gelehrt wurde; oder, weil wir es so aus Beispielen gelernt haben, durch das Beispiel Anderer; oder weil man es so mit uns gemacht hat und wir dies nicht hinterfragten weil uns die Informationen fehlten und weil niemand gesagt hat: “Warten sie mal einen Moment.Ist das richtig?”

Der Bereich der Sexualität, des sexuellen Missbrauchs, entwickelt sich in uns allen sehr schnell. Es scheint, dass das Thema sexueller Missbrauch in den verschiedensten gesellschaftlichen Gruppierungen genau untersucht wird – innerhalb der Familie, innerhalb des medizinischen Berufs, im Lehrerberuf, in der Kirche, usw.

Wir leben in einer wahrlich außergewöhnlichen und aufregenden Zeit. Ich persönlich bin begeistert, hier zu sein. Jetzt zu leben. Zu einer Zeit, da so viel ans Licht kommt und im Rahmen gegenseitiger Unterstützung erörtert wird. Es gab schon immer den Schmerz und das Leiden durch sexuellen Missbrauch, es wurde nur nicht darüber gesprochen. Er wurde in den Körpern der Menschen weggesperrt, wo er einen nicht erkennbaren Abszess bildete. Jetzt sehen wir ihn – er kam an die Oberfläche und er ist böse. Wir wussten nicht, dass er vorhanden war, aber jetzt schon. Viele Menschen wollen ihn immer noch nicht wahrnehmen. Aber ich denke, dass es töricht ist, sich nicht darum zu kümmern, nun, da er eitert. Es ist mehr als töricht; es ist niederträchtig, ihn zu ignorieren, seine Gegenwart zu leugnen. Dies schafft zusätzlich geschwächte Gesundheit und noch mehr Leiden.

Ich glaube daran, dass wir uns um diesen Abszess kümmern müssen, reinigen Sie ihn und kümmern Sie sich mit dem Mitgefühl eines guten Heilers um ihn. Er muss der Luft ausgesetzt werden, um heilen zu können. Wenn wir ihn vernachlässigen, wenn wir ein Pflaster darüber kleben, damit wir ihn uns nicht ansehen müssen, kann er schwären und septisch werden.

Ich habe vor, heute einige Geschichten zu erzählen, Geschichten von sexuellem Missbrauch im Sprechzimmer, Geschichten, die ich jedoch frisiert habe, um die betroffenen Personen zu schützen – sowohl die Patienten, als auch die Homöopathen.

Einige dieser Geschichten werden mit Ihnen im Einklang sein, werden ihnen bezüglich Ihrer eigenen persönlichen Erfahrungen oder aus Geschichten anderer Therapeuten bekannt vorkommen. Ich habe herausgefunden, dass jede einzelne Person mit der ich darüber redete, eine Geschichte über beruflichen sexuellen Missbrauch erzählen konnte; vom Zahnarzt, Arzt, Alternativheilkundler, Sozialarbeiter, Psychotherapeuten bis zum Psychoanalytiker. Dies sind zu viele Geschichten.

Aber sind sie wahr? Missbrauchen wir unsere Patienten tatsächlich? Bestimmt nicht. Ich befürchte jedoch, dass es wahr ist. Wir sind ebenfalls verletzlich und das ist menschlich. Der springende Punkt ist der, dass jeder, der beruflich in einer unmittelbaren Beziehung zu einem Patienten steht, was aus der Patientensicht per Definition eine intime Beziehung ist, zu Missbrauch fähig sein kann.

Ich möchte eben die verschiedenen Arten auflisten, auf die wir, als Homöopathen, unsere Patienten missbrauchen können:

· Wir können unsere Patienten dadurch körperlich sexuell missbrauchen, indem wir sie unsittlich berühren.

· Wir können unsere Patienten dadurch verbal missbrauchen, indem wir unpassende, dumme oder unnötige Fragen zu ihrer Sexualität stellen.

· Wir können unsere Patienten dadurch sexuell missbrauchen, indem wir unsere eigenen sexuellen Werte auf sie projizieren, indem man sie für einen sexuell perversen Trip missbraucht.

· Anzunehmen oder anzudeuten, dass sie Sex haben sollten, falls sie keinen haben, sozusagen, wenn sie das Zölibat einhalten wollen.

· Anzunehmen oder anzudeuten, dass sie mit einer anderen Person Sex haben sollten, falls sie dies nicht praktizieren, d. h., wenn sie sich dazu entschlossen haben, eine intime Beziehung zu sich selbst zu haben, wenn sie die Masturbation für sich gewählt haben.

· Dass sie mit dem anderen Geschlecht Sex haben sollten, wenn sie es nicht haben, wenn sie eine gleichgeschlechtliche Person gewählt haben.

· Wir können unsere Patienten mental sexuell missbrauchen, wenn wir über sie sexuelle Fantasien haben, während sie in unserem Sprechzimmer sind.

· Wir können unsere Patienten sexuell missbrauchen, indem wir ignorieren, anzweifeln oder ablehnen, was sie uns erzählen, insbesondere dessen, was sie uns über ihren eigenen Missbrauch erzählen.

· Wir können unsere Patienten sexuell missbrauchen, indem wir Sexualtherapeut spielen, ohne ihnen mitzuteilen, dass wir für das, was wir mit ihnen machen, keine Ausbildung haben.

Es kann sein, dass diese Liste unvollständig ist. Ich hoffe, sie ist es nicht.

Vor vielen Jahren ging ich wegen eines schmerzhaften Knies, das der Chiropraktiker nicht behandeln konnte, zu einem Homöopathen. Er bat mich, mich auszuziehen, obwohl ich es gar nicht hätte tun müssen; und er untersuchte sowohl meine Brüste, als auch meine Knie. Eine Freundin von mir ging kürzlich wegen eines Hautausschlages an ihrem Bein in ein Krankenhaus. Man bat sie sich auszuziehen, und der Arzt untersuchte sowohl ihre Brüste als auch ihren Hautausschlag. Keiner unserer Mediziner fragte uns – sie forderten uns dazu auf. Keiner von ihnen sagte uns, weshalb sie es verlangten. Wir waren beide der Meinung, dass es falsch, unnötig war und wir fühlten uns danach schlecht; angespannt und verängstigt – besonders bezüglich eines erneuten Hingehens und wir gingen nicht zurück.

Ich erinnere mich an einen anderen Termin bei einem anderen Homöopathen. Er fragte mich über mein Sexualleben aus und ich antwortete ehrlich und offen, weil ich wollte, dass mir geholfen wurde und dann begann er wirklich nachzuforschen und stellte mehr und mehr persönliche Fragen. Ich kann mich heute noch daran erinnern, dass ich mich unbehaglich fühlte, war aber völlig unfähig, nein zu sagen. Ich wollte, dass er das richtige Mittel fand. Ich fürchtete die Heilung zu gefährden, wenn ich nicht antwortete. Ich fühlte mich danach ungeschützt und schämte mich. Ich wusste nicht, warum mir solche persönliche Fragen gestellt worden waren. Ich fürchtete, er machte bei mir Annäherungsversuche, oder dass er diese Informationen weitergeben würde, (und ich fürchte, dass es in seinem Fall keine unbegründete Annahme war) und ich ging nie wieder zurück zu ihm.

Über Sex reden

Unsere Sexualität ist der privateste und verwundbarste Teil dessen, was wir sind. Sie verdient, dass man zu ihr eine besondere Einstellung hat. Im Allgemeinen unterhalten wir uns nicht über unsere Sexualität; wir diskutieren nicht über die Küchenspüle hinweg über sie, diskutieren nicht wirklich darüber. Die Menschen in diesem Land werden erwachsen, ohne dass sie über Sex gesprochen haben, ohne dass sie ihre Eltern über Sex haben sprechen hören, oder sie hören darüber im Rahmen von schlüpfrigen Witzen, oder sie hören die kalten biologischen Fakten über die Paarung von ihrem Biologielehrer.

Einige Menschen haben nie über Sex geredet. Ihre Eltern redeten nie über Sex. Oder kaum. Sie haben ‘es’ vielleicht nie mit einem Geliebten, Ehemann oder Ehefrau diskutiert. Wir haben eine gute Tradition im Lande der Vertrautheit, die nachts zwischen unsere Bettlaken gleitet, mit ausgeschaltetem Licht und fest geschlossenen Augen. Sie tun es einfach und sagen nichts. Sie bitten um nichts, und Sie klagen nicht. Dies ist nicht der einzige Sex, den es in diesem Lande gibt, aber er macht einen bedeutenden Anteil aus.

Ich möchte, dass Sie sich einen Patienten vorstellen, der nie darüber geredet hat und lassen Sie sie oder ihn mit einem von uns in einem Sprechzimmer zusammen sein und lassen Sie sich uns vorstellen, wie unsere Befragung empfunden wird.

Ich habe eine Freundin, die vor einiger Zeit einen Homöopathen aufsuchte. Sie kam mit einer Harntraktbeschwerde, die sie selbst erfolgreich mit Ruhe und Kräutern behandelt hatte. Jedoch blieb ein unwohles Gefühl zurück und ein Gefühl der Schwäche im Bereich ihrer Blase. Es war noch nicht ganz ausgeheilt. Sie hatte häufigeren Harndrang, aber sie war nicht besonders krank. Der Homöopath, den sie konsultierte, befragte sie über sich, über ihre Harnbeschwerden und kam dann zum Darm. Dieser, so sagte sie, sei ganz in Ordnung: so wie sie es erwartet hatte. Er verbrachte dann eine ziemlich lange Zeit damit, Dinge in seinen Büchern nachzuschlagen. “Was schaute er nach?” fragte sie mich anschließend. Und nach einer Weile schaute er auf und fragte: “Masturbieren Sie”? Sie antwortete ihm. Er fragte sie dann im Detail, wie sie masturbierte, wie oft, ob sie Fantasien dabei hatte, was sie sich vorstellte. Er seinerseits sagte nichts dazu. Er schrieb eine Verordnung aus und dann sagte er ihr, sie solle ihn nach einer Woche anrufen, wenn es ihr nicht besser ginge.

Sie rief mich zwei Wochen später voller Verzweiflung an – sie war sehr verwirrt und hatte viele Fragen über das, was ihr widerfahren ist. Ihre erste Frage war: “War das richtig, Miranda? Warum stellte er mir solche Fragen?” Dann fuhr sie fort, zu beschreiben, was geschehen war. Sie sagte, sie erinnert sich, dass sie sich zu jenem Zeitpunkt schockiert gefühlt habe, aber sie nahm an, dass er wusste, was er tat, weil er verantwortlich war. Sie wollte sich wieder wohlfühlen und wusste, dass sie aufrichtig sein und sich ihm öffnen musste, damit er die Informationen bekam, nach denen er verlangte, die er brauchte, um sie zu heilen. Richtig? Und so hat sie geantwortet, aber sie fühlte sich dabei gar nicht gut und war danach sehr wackelig auf den Beinen. Ungeschützt und verwundbar. Zu der Zeit, als sie mich anrief, fühlte sie sich wieder krank und zusätzlich zu ihren vorherigen Beschwerden hatte sie zwei Wochen lang nicht mehr richtig geschlafen. Sie fuhr fort zu sagen: “Warum tat er das? Ist das so, wie es die Homöopathen tun? Wollte er mit mir anbändeln?”

Die Menschen sind in diesem Bereich sehr empfindlich. Patienten, die von der Aufdringlichkeit einer homöopathischen Fallaufnahme geschockt worden sind, sagen: “Warum brauchte er diese Information?”

Die Homöopathische Fallaufnahme

Ich denke, dass die homöopathische Fallaufnahme die gründlichste aller Fallaufnahmen ist – vielleicht abgesehen von der der Akupunkteure. Wir können alle bestätigen, dass alleine schon die Fallaufnahme eine tief greifende Heilerfahrung in sich selbst sein kann, weil, wie Sie alle wissen, wir Fragen stellen, die sich in jeden Bereich des Lebens einer Person vertiefen und so kann am Ende dieses Eingangsgesprächs eine Person sich als ein Ganzes wahrnehmen, mit allen Aspekten, die sich daraus ergeben – wenn auch lose – vielleicht zum ersten Mal im Leben. Dies ist selbst schon gründliches heilen an sich. Wir dürfen nie den Wert unserer ersten Konsultation unterschätzen.

Patienten setzen ihr Vertrauen in uns – wir müssen dieses Vertrauen respektieren – es sehr empfindlich und einzigartig und es verdient zärtliche, liebevolle Fürsorge. Unsere Patienten sind dazu berechtigt, erwarten zu können, dass sich ihre Therapeuten im Gesundheitsbereich redlich benehmen.

Sexuellen Missbrauch eingestehen

Es gibt keine Grade des Missbrauchs. Jeder Missbrauch hat eine Auswirkung. Es gibt Grade der Auswirkung. Es ist der Bruch dieses Vertrauens, der das Selbstbewusstsein einer Person und ihre Fähigkeit zu vertrauen beeinflusst und er schafft eine weitere Wunde, die geheilt werden muss.

Es ist unheimlich, wenn man sich sexuellen Missbrauch ansieht, damit umgeht, ihn eingesteht. Einige sehr unangenehme Fakten lassen sich nicht länger verstecken oder verdrängen, weil das nicht daran glauben und die Ablehnung so stark sind, dass sie sich als eine Blockade für ihre Akzeptanz, ihr Verständnis erweisen und deshalb als eine Blockade für die Wirkung, für die Heilung.

Ich habe eine Freundin, die an einem Workshop über Sexualität teilnahm, und an einem bestimmten Punkt begannen Erinnerungen eines frühen sexuellen Missbrauch durch ihren Vater an die Oberfläche zu kommen. Sie fühlte sich elend und aufgewühlt und sie ging zu ihrer Homöopathin um Hilfe, weil der Kummer sie physisch belastete. Ihre Homöopathin tat ihre Erinnerungen als läppisch ab und schlug vor, dass es ihre Einbildung war, dass, da sie keine Beweise hatte, sie sich auf ziemlich wackeligem Boden befände und ob sie nicht wüsste, dass alle Töchter ungelöste sexuelle Gefühle gegenüber ihrem Vater hätten? Meine Freundin beschrieb den Konflikt, der sich dann in ihr fortsetzte; weil sie eher glauben wollte, dass sie alles erfunden hatte.

Die erste Reaktion auf Missbrauch ist Leugnen. Es geht so tief, dass das nicht glauben zu wollen, dass jemand, dem man vertraut und den man geliebt haben, unser Vertrauen missbrauchen kann, uns so gehörig verletzen kann. Das Leugnen ist der Selbsterhaltungsmechanismus, der den Schmerz und die Verletzung unterdrückt und es wird oft von Amnesie begleitet oder gefolgt, weil dies das Leben halbwegs erträglich macht.

Wie dem auch sei, zurück zu meiner Freundin und ihre heikle Sprechzimmersituation. Sie wusste, dass etwas nicht in Ordnung war und dann erzählte ihr ihre Homöopathin glücklicherweise eine Geschichte über ihre eigene Kindheit; wie an einem Punkt ihres Heranwachsens ihr Vater sie davor warnte, ihm nicht zu nahe zu kommen, weil sie für ihn attraktiv geworden war und dass er nicht wisse, was er tun würde, dass er seine Selbstbeherrschung verlieren könnte. Meine Freundin, die eine Ausbildung zur Psychotherapeutin machte, fand heraus, dass ihre Homöopathin einen ungelösten sexuellen Missbrauch aus ihrer eigenen Kindheit hatte, dessen Leugnung sie davor abhielt, die Erfahrungen des sexuellen Missbrauchs ihrer Patientin zu akzeptieren.

Diese Geschichte ist deshalb interessant, weil sie darstellt, was geschieht, wenn der Patient das Spiel aufdeckt; in diesem Fall sagte meine Freundin, dass sie ihre eigenen Gefühle an einen sichereren Ort verdrängte, um anderweitig damit umzugehen. Dies ist ein Missbrauch einer anderen Art; dieser Rollentausch, wenn der Patient sich um uns kümmert, was nicht beabsichtigt war; aber als Profis haben wir die Verantwortung, mit diesen Situationen umzugehen, wenn sie sich ergibt.

Wenn Sie die Erfahrungen Ihres Patienten anzweifeln, fügen Sie der Verletzung eine Beleidigung hinzu. Es ist zwingend, dass Sie die Erfahrungen Ihrer Patienten als wahr hinnehmen, wie schrullig diese Erfahrungen auch sein mögen. Es kann sein, dass diese an einer Wahnvorstellung leiden. Man muss erkennen können, dass Sie ihnen glauben, sonst werden sie abblocken und uns mit dem Rest ihrer Welt in einen Topf werfen, der ihr nicht glaubt oder sie missbraucht. Dadurch, dass man ihnen glaubt, können wir an ihren Fall herankommen, können wir den Heilungsprozess anstoßen.

Peinliche Worte

In Ordnung Leute! Es ist jetzt die Zeit für ein Geständnis. Während meines ersten Jahres in der Praxis fragte ich nicht nach der Sexualität meiner Patienten und ich hatte keine hochtrabenden Ideale und Prinzipien, weil ich sie nicht danach fragte. Oh nein! Ich war ganz einfach verlegen. Es gab viele Worte, die ich nicht aussprechen konnte, ohne rot zu werden. Ohne eine Hitzewallung zu bekommen. Worte wie MASTURBATION, ORGASMUS, HODENSACK, SCHAMLIPPEN, KONDOM. Einige Worte konnte ich aussprechen, wenn ich sie sehr schnell sagte, wie PENIS oder VAGINA. Diese Worte wurden in meiner Familie nicht gebraucht. Sie waren schlechte, schändliche Worte und ich wurde bestraft, als ich eines von ihnen aus der Schule mit nach Hause brachte. Ich lernte, dass über Sex zu reden schlecht war. Jahre zuvor schon hatte ich verstanden, was all diese Worte bedeuteten. Oh, sicher hatte ich gelernt, es zu tun, aber ich lernte auch, nicht darüber zu reden, wie viele Andere auch. Also hielt ich meinen Mund und meine Augen auch geschlossen!

Ganz zu Beginn als Homöopathin schrieb ich wie wild, wenn meine Patienten erzählten und wenn sie aus eigenem Antrieb Einzelheiten über ihre Sexualität erzählten und ich gab bestätigende Laute von mir und hoffte und betete, dass ich nicht errötete und dann machte ich weiter, wenn sie geendet hatten, und gab einen Stoßseufzer der Erleichterung von mir.

Also ich nahm mich ziemlich bald an die Hand und schloss das Programm über Sexualität bei Spectrum ab (http://www.spectrumtherapy.co.uk/). Spectrum ist ein Psychotherapiezentrum in London. Ich kam mit mir ins Reine und ließ mich ausbilden und lernte darüber zu reden, lernte, was normal ist und was wahre Perversion ist, was gesund ist und was krankhaft; was Sex betrifft, was mich in der Beziehung zu Sex und der Beziehung zu Anderen und Sex angeht. Ich entdeckte, dass eine Menge Müll über Sex erzählt wird, der die Person nicht in Betracht zieht.

Sex im Sprechzimmer

Und wissen Sie was, jetzt kann ich über Sex reden und jetzt, da ich gerne über Sex rede, frage ich meine Patienten immer noch sehr selten über ihre Sexualität. Erstens, weil ich festgestellt habe, dass ich ohne diese Informationen effektiv verschreiben kann, aber wichtiger noch, weil ich weiß, wann jene Fragen zu stellen sind; wann es angebracht ist und das ist eine erlernte Fähigkeit. Allgemein gesagt bin ich auch eine effektive Verschreiberin, ohne Sex ins Sprechzimmer bringen zu müssen.

Manchmal ergreifen die Patienten die Initiative, mit mir über Sex zu reden und dann höre ich gerne zu und stelle Fragen und antworte entsprechend mit beruhigenden Erklärungen und einer Würdigung des Vertrauens, das mir entgegengebracht worden ist. Es kann sein, dass ich in der Lage bin, ihre sexuellen Probleme in meine Verschreibung einzubauen, was ich in einem solchen Fall erwähne. Es kann sein, dass mein Patient eine Überweisung zu einem Berater oder einem Therapeuten braucht, der auf Sexualität spezialisiert ist. Manchmal kann ich die ‚Normalität’ eines Patienten bestätigen. Viele Menschen wissen nicht, was normal ist, sie sind zu ängstlich, es herauszufinden und sie tragen Mythen aus ihrer Kindheit wie Zementsäcke mit sich herum.

Manchmal frage ich nach der Sexualität eines Patienten und dann setze ich meine Fragen in einen Kontext. Ich glaube, dass es zutiefst aufdringlich ist, Fragen über die Sexualität einer Person zu stellen, ohne sie vorher in einen Kontext zu setzen. Einem professionellen Kontext.

Die erste Person, die ich befrage, bin ich selbst. Warum will ich mich in diesen Bereich vertiefen? Ist es wichtig oder relevant für meine Verschreibung, Informationen über die Sexualität meines Patienten zu bekommen? Wenn ja, dann teile ich meine Gedanken mit meinem Patienten. Ich mache klar und deutlich, weshalb es relevant ist. Ich kläre ihn oder sie über die Art auf, wie ich arbeite. Ich schaffe eine sichere Grenze. Ich beteuere gewöhnlich, dass die Konsultation vertraulich ist, dass nichts, was gesagt wird, aus diesen vier Wände herausdringen wird.

Ich stelle Fragen wie: “Ist es für sie in Ordnung, wenn ich Ihnen einige Fragen über Ihre Sexualität (oder ihr Sexualleben) stelle?“ Wenn ich weiß, dass eine Person in einer Beziehung lebt, frage ich vielleicht: “Gibt es irgendetwas, das Sie in Ihrer Beziehung stört? Sind Sie mit Ihrer sexuellen Beziehung zufrieden?” Sie haben vielleicht schon Informationen über die intimen Beziehungen eines Patienten, auf die Sie vorsichtig aufbauen können. Sobald Sie die Tür geöffnet haben, rücken die Leute mit Informationen heraus und Sie können diese aufnehmen. Wir müssen mit einer unverfänglichen Frage beginnen, die es unseren Patienten überlässt, den Faden aufzunehmen.

So schlage bezüglich Ihrer eigenen Praxis vor, dass Sie die Bereitschaft Ihrer Patienten überprüfen, mit Ihnen über ihre Sexualität reden zu wollen. Wenn es das leichteste Zaudern gibt, tun Sie es nicht zu diesem Zeitpunkt. Sie können wieder nachfragen, sowie und sobald sich ein Vertrauen entwickelt hat. Oder bieten Sie ihnen die Möglichkeit an, zu ihrer eigenen Zeit darauf zurückkommen zu können.

Was wir wollen, ist herauszufinden, ob Sex bei einem Patienten an dieser Stelle ihres Lebens funktioniert. Gibt es eine Krankheit, Pathologie, die sich auf diesen Bereich bezieht, für die wir Verschreibungen ausstellen können? Wird diese Person durch ihre eigene sexuelle Funktionsstörung eingeschränkt? Wenn ja, wie?

Benutzen Sie den Ton Ihrer Stimme, Ihre Körperhaltung, Ihren Gesichtsausdruck, Ihre Worte, um zu vermitteln, dass Sie in Ordnung sind, dass Sie vertrauenswürdig sind. Machen Sie sich keine Notizen oder notieren Sie nur Schlüsselwörter und füllen Sie später alles Weitere aus, es wirkt sehr bedrohlich, wenn man uns sieht, wie wir jedes Wort aufschreiben, zum Beispiel über einen schmerzhaften Vorfall von Missbrauch in der Kindheit.

Sexuelle Gesundheit

Die Leute beschäftigen sich ziemlich intensiv damit, verschiedene Ziele zu erreichen. Wie wir unsere Sexualität ausdrücken, enthält wesentlich mehr, als nur den Geschlechtsakt selbst, der darin gipfelt, in der Lage zu sein, einen Orgasmus zu erreichen. Intimität, Liebe, Zärtlichkeit, Freundschaft, Zuneigung, Mitleid und Bindung machen eine ‘ganzheitliche’ intime Beziehung aus und wir könnten uns entscheiden, diese intime Beziehung nicht mit einer Person des anderen Geschlechts zu haben.

Meine Definition, was immer sie Wert ist, von einer gesunden sexuellen Beziehung ist, dass sie zwischen einem oder mehreren einwilligenden Erwachsenen besteht, wobei beide Menschen diese intime Beziehung in einer Atmosphäre des Vertrauens und der Sicherheit entdecken oder schaffen, in der auf beides, das ‚ja’ und das ‚nein’ eingegangen wird. Eine Beziehung, in der die Energiebalance mehr oder weniger ausgeglichen ist.

Den Missbrauch kategorisieren

Manchmal sehe und höre ich, wie in einer Beziehung Missbrauch begangen wird und aufgrund der Art und Weise, wie ich arbeite, bin ich dazu entschlossen, eine Position einzunehmen, sobald es geschieht. Wenn ich den Missbrauch ausmache und mein Patient nicht. Ich denke dabei an eine Frau, die kürzlich zu mir kam und die seit fünfzehn Jahren verheiratet ist, die vier oder fünf Kinder hat. Ihr Mann forderte jede Nacht Sex von ihr, manchmal mehrfach in einer Nacht. Manchmal wollte sie, dass sie sich lieben und manchmal nicht, aber es war ihm nicht wichtig, ob ihr danach war und eine riesige Anzahl von Nächten lag sie da und biss ihre Zähne zusammen, während ihr Mann es ‚mit ihr tat’ und er hat es nie bemerkt.

Es gibt hier mehrere Themen – es gibt das Thema, dass sie fähig ist ‚nein’ zu sagen und gehört wird. Wir können nur was tun, wenn wir wissen, dass das, was geschieht, falsch ist. Als ich sein Verhalten als Missbrauch bezeichnete, weinte sie in Dankbarkeit, weil sie dieses Gefühl gehabt hatte, aber zum Beispiel im Gespräch mit ihrem Hausarzt bekam sie nicht diese Unterstützung.

Ich konspiriere auch nicht mit Übeltätern, die Missbrauch begehen. Wenn ein Patient zu mir kommt und sagt: “Ich habe gerade meine Frau geschlagen und jetzt sind wir wieder zusammen”, frage ich, ob er mit einem “Gewaltlosigkeitsvertrag” einverstanden wäre und wenn er es nicht ist, werde ich ihn nicht behandeln. Das liegt teils daran, dass mir meine eigene Sicherheit wichtig ist und ich nicht vorhabe, sie aufs Spiel zu setzen.

Ich nehme an, dass manche von Ihnen denken: “Wenn wir nur das richtige Mittel finden können, dann müssen wir keine solche Dinge sagen oder diese Dinge tun.” Die Frau mit dem sexbesessenen Ehemann – wenn wir ihr einfach Staphysagria oder Sepia geben, oder was auch immer, wird es nicht schon in Ordnung kommen? Es gibt viele Ebenen zu heilen, nicht nur mit kleinen weißen Tabletten. Patienten erwarten mehr von ihren Hausärzten – sie erwarten eine höhere Integritätsebene, bessere zwischenmenschliche Fertigkeiten.

Ich denke, dass wir ein bestimmtes Niveau von Verständnis und Differenziertheit (als Praktiker) benötigen, um fähig zu sein, mit diesen Situationen umgehen zu können. Und daher glaube ich, dass sowohl eine Ausbildung in sozialer Kompetenz, als auch fortdauernde Supervision oder Patientenführung, irgendeine Form in uns selbst hineinzuschauen, so wichtig ist.

Meine Erfahrungen, die auf die Ausübung meiner achtjährigen Praxis beruhen, sind die, dass Menschen ihre Muster, ihre Fehler wiederholen. Wir können unseren Patienten helfen, bewusst zu verstehen, wie sie krank wurden, wir können die Rolle verstehen, die sie spielen mussten, sodass der Stress sie fast unterkriegen konnte, wir können beginnen, sich der unterschiedlichen Wahlmöglichkeiten bewusst zu werden, die wir treffen können und wir können ein gutes Mittel verordnen. Für meine eigene Praxis hoffe ich, dass beim nächsten Mal, bei dem eine ähnliche Situation bei einem Patienten an die Oberfläche kommt, er oder sie in der Lage sein werden, sobald es geschieht, anders damit umzugehen und nicht an diesem Stress zu erkranken – und mich deshalb nicht mehr brauchen.

Sex in der verbotenen Zone

Es wurden schon viele Bücher über sexuellen Missbrauch herausgebracht. Ich möchte Ihnen eines vorstellen, das ich für das Thema des sexuellen Missbrauchs im Beruf empfehle. Es heißt Sex in the Forbidden Zone (Sex in der verbotenen Zone) von Peter Rutter.

Die Angehörigen der meisten Berufe im Gesundheitswesen diskutieren das Thema des sexuellen Missbrauchs aus, was den sexuellen Missbrauch bildet und was nicht. Wann ist es in Ordnung, eine intime Beziehung mit einem Expatienten einzugehen? Ist es zum Beispiel eine Angelegenheit von Zeit? Oder von was?

Peter Rutter meint, dass Menschen in einer Machtposition (seien es Lehrer, Geistliche, Rechtsanwälte oder Ärzte) in Form eines bestimmten, oftmals unerwähnten Vertrags in eine Beziehung zu einem Menschen treten, der zu ihnen um Hilfe kommt (ihre Studenten, Gemeindemitglieder, Klienten und Patienten). Ein Vertrag des Vertrauens. Diese Beziehungen haben eine besondere psychologische Dynamik, die, wie er glaubt, schwer zu ändern ist.

Dieses Buch behandelt dieses Thema in großer Tiefe und mit viel Feingefühl. Wenn Sie daran interessiert sind, sexuellen Missbrauch als Berufstätiger zu vermeiden, lesen Sie es! Ich kann dieses Buch nicht stark genug empfehlen.

Sexueller Missbrauch und die Society of Homeopaths (Gesellschaft der Homöopathen)

Welche Position nimmt der Berufsverband, die Gesellschaft der Homöopathen, der uns vertritt, zu diesem Thema ein? Wie viele von Ihnen haben unseren Ethik-Kodex sorgfältig und gründlich gelesen? Vielleicht haben Sie Interesse daran, in dem Ehrenkodex des britischen Verbands für Psychotherapeuten nachzulesen. Es ist interessant, bei anderen ‘Schwester’-Organisationen nachzusehen, wie sie diese Angelegenheiten in ihren Berufsgruppen behandeln.

Ich glaube, dass wir unsere Einstellungen und Überzeugungen bezüglich Sex aktualisieren müssen. Viele von ihnen gehen mit allem Ruhm und Ehren bis ins 19. Jahrhundert zurück. Wir müssen uns den Unterschieden bewusst sein, zwischen den altmodischeren Einstellungen zur Sexualität und dem wachsenden Körper aus Beweisen und Meinungen, der ein ganzheitlicheres, gesünderes Glaubenssystem erforscht, welches den gesunden Ausdruck der Sexualität einer Person bestärkt – selbst wenn er sich von einer konservativen ‚Norm’ unterscheidet.

Traditionsgemäß hat die Homöopathie eine starre Haltung gegenüber bestimmten sexuellen Handlungen wie zum Beispiel Homosexualität und Masturbation als Perversionen, eingenommen. Im Licht eines wachsenden Bewusstseins in den Bereichen der Psychologie und der Sexualität findet man zunehmend die Annahme, dass sich die Menschen in verschiedenartiger Weise sexuell zum Ausdruck bringen können, und dass es immer noch in Ordnung ist. Seien Sie gesund und normal.

Schlussfolgerung

Ich habe heute viele Fragen gestellt. Ich tue nicht so, als ob ich alle Antworten zu diesem Thema wüsste. Ich hoffe, Sie dafür angeregt zu haben, über Ihre eigenen Einstellungen und Überzeugungen nachzudenken, über Ihre persönlichen und Ihre beruflichen Einstellungen und Überzeugungen. Es gibt keine einfachen Antworten. Es ist ein komplexes Thema. Wir arbeiten alle auf ein gemeinsames Ziel für Gesundheit und Heilung zu – dies ist ein Teil, es ist ein Teil unseres Heilens, als Beruf. Wir haben eine Verantwortung, feinfühlig und uns dessen bewusst zu sein. Gewohnte Verschwiegenheit und Ablehnung haben dies zu einem Tabuthema gemacht. Es ist, wie des Kaisers neue Kleider – die Leute fürchten sich, über etwas zu reden, das für sie offensichtlich ist, aber von jedem ignoriert wird.

Dies ist ein ziemlich neues Thema. Es mag neu für Sie sein, kann Erinnerungen an Ereignisse, die Ihnen oder Anderen im Leben passiert sind, ausgelöst haben. Viele Menschen sind missbraucht worden und haben es nicht gewusst oder erkannt, dass das, was sie einfach taten, genau dies ist, weil ihr Missbrauch ein erlerntes Verhalten war. Wie viele von Ihnen hier und heute glauben wohl, dass es für Sie ein Thema ist, an Ihrer eigenen Sexualität zu arbeiten? Was denken Sie, wie Ihre eigenen Probleme Ihre Einstellung zu Ihren Patienten oder Ihre Einstellung zu einem Patienten mit einem ähnlichen Problem beeinflussen können?

Ich will keine Schuld zuweisen; sagen, dass Sie dieses oder jenes Unrecht begangen haben, dass Sie es auf diese oder jene Weise hätten tun sollen. Alles, was ich verlange, ist, dass Sie alles für sich überdenken, jede und jeder von Ihnen; dass Sie mit Ihren Freunden, Ihresgleichen, Kollegen, ja sogar Ihrer Familie darüber reden, wenn Sie es können, dass Sie sich in diesem Thema Sex im Sprechzimmer weiterentwickeln, dass Sie Ihre Gedanken und Gefühle miteinander, mit mir, mit dieser Zeitschrift und mit dem Newsletter teilen.

Ich schätze, dies wird eine kontinuierliche Debatte werden. Lassen Sie sich uns mit diesem Thema konfrontieren und es behandeln, um es zu heilen, zu unserem Wohle und dem unserer Patienten. Wir müssen für den Umgang mit unseren Fehlern zugänglich sein. Letztlich versuchen wir doch alle, uns zu verbessern, denn durch Reden, durch das aufrichtig und offen sein werden wir es durcharbeiten und vergeben und die alten Wunden heilen und ein gutes Vorbild schaffen, auf das wir alle stolz sein können – für uns selbst und für unsere Patienten.

Nachtrag – Sommer 2006

Donnerwetter. Sex. Diese Darbietung hat eine ziemliche Aufregung verursacht. Eine Präsentation über Vertraulichkeit, die ich vor Jahren hielt, ist das einzige weitere Thema, das dazu führte, dass Menschen mich in der Öffentlichkeit beschimpfen.

Nach Sex im Sprechzimmer erhielt ich einen Brief von einem Psychotherapeuten, der ein Homöopathiestudent war und der fragte, warum ich nicht ausdrücklich erklärte, dass das Eingehen einer sexuellen Beziehung mit einem Studenten oder Patienten unethisch ist. Es hat mich immer erstaunt, dass nicht noch mehr Leute diese Frage stellten. Hauptsächlich fürchtete ich mich davor. Unser Ethik-Kodex zu jener Zeit war ein bisschen vage. Unsere Gesellschaft hatte dieses ethische Thema einfach nicht direkt angegangen. Ich glaubte, dass es ein äußerst sensitiver Bereich war. Unsere Geschichte scheint uns stillschweigend die Erlaubnis dafür gegeben zu haben, mit unseren Studenten und Patienten eine intime Beziehung einzugehen. Angefangen mit Hahnemann. Und natürlich Melanie. Eine Liebesgeschichte. Weil wir dieses Thema noch nicht angegangen hatten und weil es so viel schlechtes Benehmen in der Sexualität gibt, wollte ich einfach die große Vielfalt von Themen vorbringen, die seinerzeit unter den Schirm von ‘Sex’ fielen. Ich wollte nicht, dass die Leute bei dem Gedanken hängen blieben, dass ich sie sagte, mit wem sie Sex haben sollten oder mit wem nicht.

Unzählige Praktiker und Studenten sagten mir anschließend, wie unwohl sie sich dabei fühlten, ihre Patienten über ihr ‚Sexualleben’ zu befragen, wie erleichtert sie waren, dass sie die Gelegenheit hatten, darüber nachzudenken und somit ändern konnten, wie sie dieses Thema angingen – und ihre Lösungen mit Anderen zu teilen. Ich frage die Menschen jetzt: „Wie sieht es mit ihrer sexuellen Energie aus?”, und ich kann es weiterverfolgen mit: „Haben Sie bestimmte Probleme oder Schwierigkeiten in diesem Bereich, die Sie ansprechen möchten?”, oder: „Ist mit diesem Bereich ihrer Beziehung/Ehe alles in Ordnung?” In jedem Fall bin ich an ihrer Geschichte über intime Beziehungen interessierter, Sex kann oder kann nicht Teil dieser Geschichte sein.

Ich bin begeistert, dass der Aufsichtsrat der Gesellschaft der Homöopathen dieses Staffelholz aufgegriffen hat und den Ethik-Kodex schuf, der im Einklang mit anderen Berufsorganisationen ist, ein Kodex, der uns entsprechende Richtlinien liefert und sowohl Patienten als auch Studenten vor Schaden schützt. Natürlich schützen uns diese Richtlinien ebenfalls, indem sie uns klare Grenzen setzen, an die wir uns zu halten haben. Mein Ziel war es, das Thema für den Dialog zu eröffnen und das ist in höchstem Maße gelungen! Themen um Sex und Sexualität werden in den Schulen einfühlsamer gelehrt und wir sind allgemein offener und respektvoller darin, wie wir mit diesem Thema miteinander und unseren Patienten gegenüber umgehen.

Wenn sich die Menschheit nicht für die Integrität entscheidet, sind wir völlig fertig miteinander. Es steht absolut auf des Messers Schneide. Jeder von uns könnte den Unterschied ausmachen.

-Buckminster Fuller

REFERENZEN

1 Peter Rutter, Sex in the Forbidden Zone, 1990, Unwin Hyman, reviewed in The Homoeopath 1990,10: 2.

2 Spectrum Incest Intervention Project, 7 Endymion Road, London N4 lEE.

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